Reisen durch die ehemalige DDR (Teil 6) von Holger Raschke
In Thale bestätigt sich das, was wir zuvor bereits an der Rappbodetalsperre, in Wernigerode oder in Schierke bemerkt haben. Der Harz ist voll.
Voller Familien, Urlauber, Ausflügler. Ob es vor allem an Corona lag oder auch in den anderen Jahren so war? Keine Ahnung. Jedenfalls dürfte es im benachbarten UNESCO-Städtchen Quedlinburg sicher noch voller gewesen sein.
Die Kleinstadt Thale war zwar immer schon auch Urlaubsort, aber Industrie spielte früher eine deutlich größere Rolle. Schon im Mittelalter gab es in Thale eine Eisenhütte, aus der sich später ein Eisenhüttenwerk entwickelte. Zudem wurde die Stadt weit über die Grenzen hinaus bekannt als wichtige Emaille-Produktionsstätte.
Ein bisschen Industrie-Feeling kommt am DDR-Museum auf, denn es befindet sich am Rand des Industriegebietes und erlaubt den Blick über die benachbarten Werkshallen. Das DDR-Museum füllt authentischerweise eine Etage in einem Plattenbau.
Konzeptionell werden hier nicht nur Bedürfnisse nach nOstalgie befriedigt, sondern es gibt auch Erklärtafeln, die verschiedene Aspekte der DDR-Geschichte und Alltagskultur behandeln. Es ist also nicht nur eine bloße Zurschaustellung von DDR-Produkten und Alltagsgegenständen, wie man es aus den vielen kleinen privaten Museen kennt. Dennoch machen das haptische und visuelle Erleben der Alltagskultur den Schwerpunkt aus. Und so erkenne auch ich zahlreiche hübsche, hässliche und hübsch-hässliche Artefakte aus der Vergangenheit wieder.
DDR-Vergangenheit begegnet einem auch an anderen Stellen im Stadtbild von Thale.
Am Bahnhof und am großen Parkplatz Nahe der Seilbahnen befinden sich übergroße Kunstwerke, die passenderweise vom ehemaligen Thalenser Stahlwerker Willi Neubert als emaillierte Wandbilder auf Hunderten Metallplatten ausgeführt wurden. Bemerkenswert ist, dass die beiden Bilder erst nach der Wende ihren jetzigen Platz zugewiesen bekommen haben.
Nach dem kurzen Exkurs in die Geschichte wird es Zeit für spätsommerliche Zerstreuung in der Natur und die zeigt sich in Thale und Umgebung wirklich von ihrer schönsten Seite. Folgt man dem Flüsschen Bode aus das Stadtzentrum hinaus flussaufwärts, gelangt man bald ins herrliche Bodetal.
Das Bodetal ist zweifelsohne einer der schönsten Flecken im gesamten Harz.
Hat man die Seilbahn zum Hexentanzplatz und den Sessellift zur Rosstrappe hinter sich gelassen und dringt tiefer in das Bodetal vor, beeindruckt es mit steilen und schroffen Felshängen, dunklen Wäldern und der reißenden Bode.
Die steinerne Jungfernbrücke nebst Gasthaus sind ein romantisch verwunschenes Ausflugsziel und bilden eine märchenhafte Kulisse. Doch es geht noch weiter durch das wilde Bodetal. Wer allerdings glaubt, es geht so wild bis zur Quelle weiter, wird enttäuscht. Einige Flusskilometer aufwärts streift die Bode eine alte Bekannte – und zwar die Staumauer an der Rappbodetalsperre.
Auf verschlungenen Pfaden geht es die Steilhänge auf und ab. Eine Tour durch das Bodetal lässt sich perfekt mit dem Hexentanzplatz auf der einen und der Rosstrappe auf der anderen Seite der Bode verbinden.
Während der sagenumwobene Hexentanzplatz eigentlich wie ein großer Rummel wirkt, geht es an der Rosstrappe etwas beschaulicher aber dafür nicht weniger spektakulär zu, wenn man am Kliff stehend ins Tal hinunter schaut und man über Thale hinweg weit ins Harzvorland schauen kann. In einem Punkt ist der Hexentanzplatz allerdings wirklich beeindruckend: die Freiluftbühne Harzer Bergtheater bildet eine spektakuläre Kulisse. Die Veranstaltungen in lauen Sommernächten müssen ein echtes Highlight sein.
Nach zwei schönen Tagen ziehen wir weiter. Die Fahrt geht in Richtung Süden zum Kyffhäuser.
Unser Ziel ist die Kleinstadt Frankenhausen, sodass uns der Route geradewegs durch das kleine Mittelgebirge führt. Das Kyffhäusergebirge ist vor allem durch das gleichnamige Denkmal, dass im späten 19.Jahrhundert zu Ehren von Kaiser Wilhelm I errichtet wurde. Etwas ratlos stehen wir vor dem Eingang, denn wir hatten nicht erwartet, dass man schon Eintritt zahlen muss um überhaupt in die Nähe des Denkmals zu kommen. Die 8,50€ pro Person ist es uns dann doch nicht wert, sodass es gleich weitergeht, ohne das Bauwerk zu Gesicht zu bekommen.
Nicht schlimm für uns, denn in Bad Frankenhausen erwartete uns eine Sehenswürdigkeit, für die wir gerne bereit sind (sogar etwas weniger) Eintritt zu zahlen: das Panorama-Museum mit dem 360° Monumentalbild von Walter Tübke. Für mich ein richtiges Highlight, das lediglich etwas abseits gelegen ist. Ich stelle mir vor was hier los wäre, wenn das Teil in Berlin stehen würde.
Aber warum steht es hier „mitten in der Pampas“?
Mitte der 1970er Jahre beschließt die DDR, auf dem historischen Schlachtfeld das Panorama-Museum zu errichten, um dem Deutschen Bauernkrieg von 1525 um Thomas Müntzer zu gedenken.
Der Bauernführer Thomas Müntzer ist eine der Figuren, die nach der Wende fast in Vergessenheit geraten sind und deutlich im Schatten vom Theologenkollegen Martin Luther stehen. In der DDR wurde Müntzer als Revolutionär und Held der kleinen Leute stilisiert. Straßen, Plätze und Schulen wurden nach ihm benannt und sein Konterfei zierte den 5-Markschein.
Über viele Jahre zogen sich die Planungen für das Museum und die Arbeiten am Gemälde hin. Erst wenige Wochen vor dem Mauerfall wurde das Museum im September 1989 eröffnet! Die Architektur des Museums alleine ist schon sehenswert, aber das 123 Meter lange, 14 Meter hohe und kreisrunde Gemälde mit über 3.000 Figuren lässt einen vor Überwältigung erstarren.
So wirbt das Museum selbst mit dem selbstbewussten Titel „die Sixtina des Nordens“ um Besucher anzulocken (was angesichts der Lage wahrscheinlich auch nötig ist). Tübke verwendete biblische Motive, um die Zeit der Bauernkriege darzustellen und den Drang nach nach Veränderung auszudrücken. Also wer hier sozialistischen Realismus erwartet, der wird enttäuscht werden.
Zum Eintritt bekommt man einen Audioguide und man kann sich dann im Zentrum des Gemäldes auf Polsterhockern platzieren, um dann um sich herum in die Tiefe des Bildes einzutauchen. Wir sind schwer begeistert am Ende unserer Reise so einen Knüller erlebt zu haben.
Auf dem Weg zurück vom Panorama-Museum kommen wir am Schiefen Turm von Bad Frankenhausen vorbei.
Der Kirchturm der Oberkirche ist stärker geneigt als der Schiefe Turm von Pisa und der schiefste Turm in Deutschland – na wenn das mal kein Alleinstellungsmerkmal ist.
Das seit Jahrhunderten bekannte Problem mit dem Untergrund und der Turmneigung führte sogar zu Abrissplänen, doch seit einigen Jahren stützt ein Korsett mit zwei mächtigen Stützpfeilern den Turm.
Mit einem abendlichen Spaziergang durch das beschauliche Innenstädtchen und einer letzten Nacht endet unsere Reise.
Es hat wieder Spaß gemacht!
Reisen durch die ehemalige DDR
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Autor: Holger Raschke (geb. 1982, Potsdam) – Gründer von BERLINS TAIGA Touren und Stadtführungen in Berlin, Potsdam und Umland
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